Einleitung
Die Umformtechnik zählt zu den bedeutendsten Fertigungsverfahren der industriellen Produktion. Sie ermöglicht die Herstellung komplexer Bauteile mit hoher Präzision, Festigkeit und Materialausnutzung. Besonders in der Automobil-, Luftfahrt- und Maschinenbauindustrie spielt sie eine zentrale Rolle, wenn es um die effiziente Herstellung von Metall- und Kunststoffteilen geht.
Während Verfahren wie Gießen oder Zerspanen auf Materialabtrag beruhen, zeichnet sich die Umformtechnik dadurch aus, dass der Werkstoff seine Form unter plastischer Verformung verändert, ohne dabei an Masse zu verlieren. Dieser Aspekt macht die Umformtechnik sowohl ökonomisch als auch ökologisch attraktiv.
In diesem Artikel werden die Grundlagen der Umformtechnik, ihre wichtigsten Verfahren, Werkstoffe, Maschinen, Anwendungen sowie aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven detailliert dargestellt.
1. Grundlagen der Umformtechnik
1.1 Definition
Unter Umformtechnik versteht man die Veränderung der Form eines festen Körpers durch plastische Verformung unter Einwirkung von Kräften, ohne dass dabei Material entfernt oder hinzugefügt wird. Die Formänderung erfolgt über eine dauerhafte Änderung der geometrischen Gestalt des Werkstücks, wobei das Volumen konstant bleibt.
Beispiel: Beim Tiefziehen eines Bleches wird dieses in eine neue Form gebracht (z. B. Karosserieteil), ohne dass Material verloren geht.
1.2 Physikalische Grundlagen
Die Umformung erfolgt, wenn die auf das Werkstück wirkenden Spannungen größer sind als die Fließgrenze des Werkstoffs. Entscheidend sind hierbei:
- Spannungszustand: Zug, Druck oder Scherung
- Temperatur: Kalt-, Halbwarm- oder Warmumformung
- Reibung: Beeinflusst die Kraftübertragung und den Materialfluss
Die plastische Verformung erfolgt durch Gleiten der Kristallgitterebenen im Werkstoff. Dadurch ändert sich die äußere Form, während die innere Struktur verfestigt wird (Kaltverfestigung).
2. Einteilung der Umformverfahren
Die Umformtechnik wird gemäß der DIN 8582 in verschiedene Hauptgruppen unterteilt, die sich nach der Art der Krafteinwirkung und dem Ausgangszustand des Werkstücks richten.
2.1 Massivumformung
Bei der Massivumformung werden Werkstücke mit einem Volumen-verhältnis nahe 1 (z. B. Stäbe, Blöcke) bearbeitet. Typische Verfahren sind:
- Schmieden
- Walzen
- Strangpressen
- Stauchen
- Ziehen von Draht oder Rohren
Diese Verfahren dienen zur Herstellung von Achsen, Zahnrädern, Bolzen oder Wellen.
2.2 Blechumformung
Hierbei handelt es sich um Verfahren zur Umformung dünner Bleche. Zu den wichtigsten zählen:
- Tiefziehen
- Biegen
- Drücken
- Sicken
- Streckziehen
Anwendungsbeispiele: Karosserieteile, Gehäuse, Dosen, Behälter.
2.3 Sonderumformverfahren
Dazu gehören moderne oder kombinierte Verfahren, z. B.:
- Hydroforming (Innenhochdruckumformung)
- Superplastische Umformung
- Elektromagnetisches Umformen
- Laserunterstützte Umformung
Diese Verfahren ermöglichen hochkomplexe Geometrien mit dünnwandigen, leichten und dennoch stabilen Strukturen.
3. Werkstoffe in der Umformtechnik
Die Auswahl des geeigneten Werkstoffs ist entscheidend für das Ergebnis des Umformprozesses.
3.1 Metalle
Am häufigsten werden metallische Werkstoffe eingesetzt, da sie gute Umformeigenschaften besitzen. Dazu gehören:
- Stähle (unlegiert, legiert, Edelstähle)
- Aluminium und Aluminiumlegierungen
- Kupfer, Messing, Bronze
- Titan und Nickellegierungen
Die Wahl hängt von den Anforderungen an Festigkeit, Korrosionsbeständigkeit, Gewicht und Umformbarkeit ab.
3.2 Kunststoffe
Thermoplastische Kunststoffe können unter Wärme verformt werden. In der Kunststoffumformung spricht man meist von:
- Tiefziehen von Kunststoffplatten
- Warmumformen (Thermoforming)
3.3 Verbundwerkstoffe
In der modernen Leichtbauweise werden zunehmend Faserverbundwerkstoffe (CFK, GFK) eingesetzt. Diese erfordern spezielle Umformtechniken wie thermoplastisches Pressen oder Heißverformen.
4. Maschinen und Werkzeuge
Die Qualität der Umformung hängt wesentlich von den eingesetzten Maschinen und Werkzeugen ab.
4.1 Pressen
Pressen sind zentrale Maschinen der Umformtechnik. Es gibt:
- Mechanische Pressen: für hohe Produktionsgeschwindigkeiten
- Hydraulische Pressen: für hohe Formkräfte
- Spindelpressen: für präzise Arbeiten
4.2 Walzwerke
Walzmaschinen dienen der kontinuierlichen Formgebung durch Walzen. Es gibt verschiedene Walzarten:
- Längswalzen
- Querwalzen
- Schrägwalzen
- Profilwalzen
4.3 Schmiedemaschinen
- Freiformschmiedehammer
- Gesenkpressen
- Rundschmiedeanlagen
4.4 Werkzeuge
Werkzeuge bestehen meist aus hochfesten Werkzeugstählen und müssen großen Kräften und Temperaturen standhalten. Beschichtungen (z. B. TiN, CrN) erhöhen die Lebensdauer.
5. Umformbedingungen
Die Umformung hängt stark von äußeren Bedingungen ab:
5.1 Temperaturbereiche
- Kaltumformung (Raumtemperatur): Hohe Maßgenauigkeit, aber hoher Kraftaufwand
- Warmumformung (> Rekristallisationstemperatur): Geringe Umformkräfte, jedoch Oxidation möglich
- Halbwarmumformung: Kompromiss aus beidem
5.2 Schmierstoffe
Reibung reduziert Werkzeugverschleiß und beeinflusst den Materialfluss. Schmiermittel sind z. B.:
- Öle, Fette
- Graphit
- Trockenbeschichtungen
6. Vorteile der Umformtechnik
Die Umformtechnik bietet zahlreiche Vorteile gegenüber anderen Fertigungsverfahren:
- Hohe Materialausnutzung – nahezu kein Abfall
- Hohe Festigkeit – durch Kaltverfestigung oder Kornverfeinerung
- Gute Oberflächenqualität
- Hohe Maß- und Formgenauigkeit
- Wirtschaftlichkeit bei großen Stückzahlen
7. Anwendungsgebiete
Die Umformtechnik findet in nahezu allen Industriezweigen Anwendung:
7.1 Automobilindustrie
- Karosserieteile (Türen, Hauben)
- Achsen, Zahnräder, Antriebswellen
- Felgen, Fahrwerkskomponenten
7.2 Luft- und Raumfahrt
- Strukturbauteile aus Aluminium oder Titan
- Hochtemperaturfeste Triebwerkskomponenten
7.3 Maschinenbau
- Wellen, Kupplungen, Lagergehäuse
- Getriebe- und Pumpenteile
7.4 Elektrotechnik
- Kontaktfedern, Gehäuse, Leitbleche
7.5 Medizintechnik
- Präzisionskomponenten für Implantate und Instrumente
8. Simulation und Digitalisierung
Mit der Digitalisierung und Industrie 4.0 gewinnt die virtuelle Prozessplanung an Bedeutung.
8.1 FEM-Simulation
Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ermöglicht die virtuelle Analyse von:
- Spannungsverteilungen
- Werkstofffluss
- Werkzeugbelastungen
Damit können Umformprozesse optimiert und Werkzeugkosten reduziert werden.